In der Zeit, in der wir leben, erscheint fast jede Entscheidung politisch und kaum eine ist es so sehr, wie die Entscheidung darüber, ob ein Gas-Embargo sinnvoll, nützlich/hilfreich, oder sogar dringend notwendig ist. Zunächst werden sich viele die Frage stellen, was das genau ist: ein Gas-Embargo, und für wen das welche Folgen hat. Nur manche werden diesen Fragen nachgehen. Und die Wenigen, die es versuchen, dürften sehr wahrscheinlich schon bald an der Informationsflut und dem noch viel größeren Schwall an emotionalisiert-moralisierenden Halbwahrheiten scheitern/aufgeben. Luise bringt im folgenden Text Licht ins Dunkel.
Was genau wollen wir also, wenn wir ein Gas-Embargo gegen Russland fordern?
Vor allem geht es darum, dass unsere Energiepolitik angesichts des gerade entfesselten Krieges in der Ukraine unter einem neuen Aspekt betrachtet werden muss. Die Entscheidung darüber, ob und wie schnell ein Ausstieg aus fossilen Energien nötig ist, bekommt damit eine neue Dynamik.
Obwohl vielen von uns schon seit langer Zeit klar ist, dass es sich hier nicht nur um ein umwelt- und klimapolitisches Thema handelt, wird den Meisten erst jetzt bewusst, dass unsere Energiepolitik eine noch größere Tragweite hat und neben unserem dringend fälligen Beitrag zum Klimaschutz, neben unserer Verhandlungsposition für ein Kriegsende, vor allem auch ein Statement setzt: Jetzt entscheiden wir, ob wir an diesem Verbrechen mitschuldig sein wollen oder ob wir uns – gegen geopolitische und kommerzielle Interessen – mit einem Land solidarisieren, dass vor unseren Augen unterdrückt wird.
Diese Debatte lässt sich kaum von einer moralischen Diskussion lösen und doch müssen wir genau das tun, um mit kühlem Kopf, kluge Entscheidungen zu treffen.
Ein sofortiger Ausstieg aus russischem Gas ist sicherlich eine starke Botschaft. Gerade aus deutscher Perspektive ist das aber eine schwere Entscheidung. Wir müssen mit unseren Verbrechen aus der Vergangenheit umgehen, während neue Vergehen verhindert werden müssen. Gleichzeitig fürchten wir, wie kaum ein anderes Land den kurzfristigen Einbruch unserer wirtschaftlichen Stabilität und damit auch unseres Handlungsspielraums für eine echte Klima-Wende.
Wie sehr die Entscheidung für oder gegen ein Embargo den Krieg befördern oder ihn deeskalieren kann, lässt sich kaum abschätzen. Eindeutig klar ist aber, dass mit einer Entscheidung gegen den Ausstieg aus russischem Gas unsere Beziehungen zur Ukraine und nach Osteuropa, ebenso wie das Vertrauen in Deutschlands Wertesystem nachhaltig gestört und zugleich die innerdeutsche und europäische Spaltung weiter voranschreiten werden. Damit würden wir einen hohen Preis für unsere Bequemlichkeit zahlen und nicht nur ein Ende dieser Bequemlichkeit selbst – machen wir uns nichts vor! –, sondern in der Folge auch das Ende des geeinten Europa in Kauf nehmen. Diesen Preis ist unsere Bequemlichkeit nicht wert.
Bei einem Ausstieg aus russischem Gas hingegen, haben wir die Gewissheit, eine Entscheidung getroffen zu haben, die Deutschland besser früher als später ohnehin dringend treffen muss und die es noch dazu wirtschaftlich und energiepolitisch auch tragen kann. Und darum müssen wir sofort raus aus russischem Gas.
Natürlich wird dieser Schritt uns stark strapazieren. Die Belastungen, die damit einhergehen, dürfen wir auf keinen Fall unterschätzen und sie müssen unbedingt solidarisch geschultert werden. Deshalb muss dieser Prozess gut begleitet werden und der Ausbau erneuerbarer Energien muss schnellstmöglich in die Versorgungslücke treten, sodass wir möglichst wenig Reserven nutzen müssen.
Studien zeigen, dass die Einbußen eines Gas-Embargos etwa denen der Corona-Pandemie entsprechen. Das war tough, aber wir haben das miteinander geschafft. Dass jetzt seitens der Wirtschaft die Warnungen vor irreparablen Einbrüchen laut werden, verwundert nicht. Denn natürlich lassen sich die eigenen Profite in einer solchen Krisenlage nicht sichern. Dass diese kommerziellen Interessen hier aber wieder einmal unter dem Deckmantel der Diplomatie und Humanität verborgen werden, macht sprachlos. Selbstbestimmung und Solidarität sind nicht nur wichtiger als Profit, eine Gesellschaft, die nicht sozial und ökologisch wirtschaftet, hat überhaupt keine Zukunft. Freiheit und Gerechtigkeit sind die Voraussetzungen für nachhaltigen Wohlstand.
Mercedes-Vorstandschef Ola Källenius wandte kürzlich ein: „Einerseits versuchen wir, die Ukraine zu unterstützen, andererseits muss Deutschland handlungsfähig bleiben.“
Das hört sich richtig an. Trotzdem stellt sich doch die Frage, wie handlungsfähig wir derzeit überhaupt noch sind. Wir versuchen, uns alle Optionen offen zu halten und ja keine voreiligen Schritte zu gehen. Aber die Illusion von wirklicher Entscheidungsfreiheit lässt sich kaum noch aufrechterhalten. Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten so abhängig von Russland gemacht, dass uns kaum noch Spielräume bleiben. Wir begründen unsere Schritte mit Vorsicht und Abwägung, aber wie sehr prägt Angst unsere Politik? Wie sehr richten wir unser Katastrophenmanagement nach Bedrohungsszenarien und damit auch nach Putins Terror aus? Wie können wir den Krieg des Kreml überhaupt noch sanktionieren, ohne ihm die Milliarden zu streichen, die wir immer noch für seine Kohle, für sein Öl, für sein Gas zahlen. Deshalb muss unsere Unabhängigkeit kommen. Was für Putin ein Druckmittel ist, können wir ebenso gegen ihn nutzen – indem wir uns davon unabhängig machen: Kohle und Öl aus Russland fahren wir schon runter, nun auch durch ein Gasembargo. Mit dem Vorteil, dass wir guten Gewissens, innen- und außenpolitisch solidarisch und mit klaren, mutigen Entscheidungen unsere Position gegen Putins Krieg einnehmen können.
Seit dessen Beginn hat Deutschland für über neun Milliarden Euro Gas und Öl aus Russland gekauft. Wir müssen uns darüber bewusst sein, dass wir mit dem Kauf von russischem Gas, nicht nur unseren aktuellen Wohlstand, sondern vor allem auch russische Waffen und damit gleichzeitig russische Kriegsverbrechen finanzieren. Gerade wir mit unserer Vergangenheit, gerade im Osten Europas können uns nicht erlauben, grundlegende Menschenrechte so zu verraten.
Kein Geld, kein Blut für Öl, Kohle oder Gas!
Deshalb brauchen wir den sofortigen Ausstieg aus russischem Gas, russischer Kohle und russischem Öl, die Reduzierung unseres Energieverbrauches in allen Sektoren, den schnellen Ausbau erneuerbarer Energien, eine transparente und vorausschauende Politik sowie ein neues Vertrauen in die Wissenschaft.
Ein Aufschub wäre nach den jüngsten Ereignissen nicht nur eine klimapolitische Katastrophe, sondern auch und vor allem unsere Kapitulation vor Putins Angriff auf unsere demokratischen Werte.
Keine Entscheidung zu treffen, wäre daher das Schlimmste.
Gegen Länder wie Polen und Bulgarien wurden aus Russland bereits Strafmaßnahmen eingeleitet. Deutschland kann diesem Schritt noch zuvorkommen. Die Abkehr von fossilen Energien ist unvermeidlich. Die Frage, ob sie nötig wird, stellt sich schon lange nicht mehr. Jetzt muss nicht mehr entschieden werden, ob sondern nur noch wie diese Schritte gegangen werden sollen. Statt in letzter Sekunde auf den Zug aufzuspringen, haben wir jetzt die Chance – schon mit einiger Verspätung – ein großes Zeichen in der Klimapolitik und nicht zuletzt auch in diesem Krieg zu setzen. Damit wäre auf unserem langen Weg ein erstes Etappenziel erreicht.
Aber das ist nur der Anfang!
Ich bin sehr skeptisch ob der Bereitschaft der „Ampelkoalition“ SPD – Grüne – FDP für einen solchen Schritt in der nächsten Zeit. An einen Import-Stopp von deutscher Seite glaube ich erst, wenn wir uns absolut unabhängig von russischen Importen gemacht haben (evtl. Anfang nächsten Jahres)
Gründe:
Ich glaube nicht, dass ein Kanzler, der meiner Ansicht nach im Cum-Ex-Skandal und in der Wirecard-Affäre gelogen hat, das Rückgrat hat, hier etwas Soziales auf den Weg zu bringen.
Am wenigsten aber bin ich mit der FDP guter Hoffnung. Wer nicht einmal in der Lage ist dem kleinsten Schritt fürs Klima zuzustimmen – einem Tempolimit – der wird doch eine solche Entscheidung (zweifellos mit Auswirkungen auf die Wirtschaft!) niemals zustimmen – das fragile Konstrukt der „Ampelkoalition“ würde wohl nicht lange mehr halten.
Das Schlimmste an allem aber ist: ich glaube nicht, dass ich das pessimistisch sehe.